BMX-Racing - Woche 18

startnummer 52

Da ist sie wieder. Diese verdammte Angst. Ich fühle mich mal wieder wie beim Skifahren. Ich muss bergab. Und das am Besten schnell, denn schnell ist angeblicher stabiler und sicherer. Sagen alle anderen. Mein Kopf sagt nur: BREMSEN! Ich setze den linken Fuß aufs Pedal. Eigentlich müsste ich mich nur kurz mit dem anderen Fuß abstoßen und das BMX den Starthang runterrollen lassen. Aber der ist gefühlt ganz schön steil. Und am Ende kommen Hügel. Wer weiß, vielleicht hebt dort das Bike ab? Ich habe keine Ahnung, schließlich ist es mein erstes Mal beim BMX-Racing.

Mit Schwung geht es mit dem BMX beim BMX-Racing über die Dirt Hügel
Steiler als sie aussehen: Hindernisse beim BMX-Racing

Jordi Miranda redet mir gut zu. Der Fotograf und passionierte Sportler hat mich nach Landgraaf in Süd-Limburg eingeladen, das liegt kurz hinter der deutsch-niederländischen Grenze. Jordi trainiert hier regelmäßig beim TWC Maaslandster. Er ist schon als Kind mit dem BMX in Halfpipes gefahren, inzwischen fährt er Rennen. Er würde sich vermutlich kaputt lachen, wenn er wüsste, als wie steil ich diesen verdammten Starthügel empfinde. Und als wie klein und wacklig das schicke Race-BMX von Identiti. 20 Zoll, neongelb und eigentlich zu neu und zu teuer, um von einem Anfänger wie mir gefahren zu werden. Aber Jordi und seine Trainingskollegen lieben nicht nur ihren Sport, sie sind auch nett zu Neu-BMXern. Und so haben sie mir ein Rundum-Sorglos-Paket organisiert. Neben dem Profi-Bike auch noch Knie- und Ellbogenschoner, einen Helm, Handschuhe und ein Trikot. Das Highlight ist aber meine extra gedruckte Startnummer 52. Um es kurz zu machen: Die Ausrüstung hat es wirklich nicht verdient, dass ich zögernd vor der Startlinie den Tag vertrödele. Ich gebe mir einen Ruck, stoße mich ab, gehe in die Knie und lasse rollen. Aber erst mal nur ein paar Meter. Dann wird es mir zu schnell und ich bremse etwas ab. Die Quittung kriege ich zehn Meter später. Den ersten Hügel komme ich noch hoch, dann verhungere ich, weil ich keinen Schwung mehr habe. Immerhin ist das Eis jetzt gebrochen, der Starthang ist gar nicht so steil und ich bin auch nicht gestorben, als ich über den ersten Hügel drüber bin.

Bmx-Racing heißt 400 meter vollgas

ein kleines Rennen: BMX beim BMX-Racing über die Dirt Hügel
400 Meter auf dem BMX können ganz schön anstrengend sein

Die Bahn beim TWC Maaslandster ist ungefähr 400 Meter lang. Sie hat drei Steilkurven und 15 Sprunghügel. Wie elegant die Fahrer da drüber kommen, ist egal. Hauptsache, sie sind schnell. Denn beim BMX-Racing geht es nur um eins: Als erster ins Ziel zu kommen. Seit 2008 gibt es auch bei den Olympischen Sommerspielen BMX-Rennen, außerdem natürlich viele nationale und regionale Wettbewerbe, bei denen nach Altersklassen getrennt gefahren wird. Jordi zeigt mir zusammen mit seinen Traininigskollegen, wie so ein Rennen aussehen könnte. Dafür klappen sie die Startbox hoch - eine Art geviertelte Metallröhre, die nach einem durchdringenden Piepton im Boden verschwindet und den Start freigibt. Sechs BMX rauschen an mir vorbei. Die Fahrer treten am Starthügel ordentlich in die Pedale und springen über die ersten zwei Hindernisse, bevor sie durch die Steilkurve brettern. Auf der zweiten Geraden kann ich genauer sehen, wie die Profis fahren. Sie lassen ihre BMX den ersten Hügel hochschießen. Entweder springen sie dann oder fahren nur auf dem Hinterrad durch die Mulden. Erst wenn sie den Scheitelpunkt des Hügels im Hindernis erreichen, drücken sie ihre Vorderräder wieder aktiv nach unten, um nochmal zusätzlich Schwung aufzubauen.

absolutes bremsverbot

BMX beim BMX-Racing über die Dirt Hügel
Jordi erklärt mir, wie der Körper beim BMX-Racing federn muss

Jetzt will ich auch mal ein bisschen schneller fahren. Jordi gibt mir vorher ein paar Tipps. Der erste ist gleichzeitig der logischste: Am Start brauche ich Schwung. Also rollen lassen, BMX stabil halten. Die Hügel bremsen mich automatisch. Meine Arme und Beine sind meine Federung. Fahre ich über eins der Hindernisse, müssen Knie und Ellbogen nachgeben, um die Bewegung abzufedern. In die Pedale treten darf ich nur zwischen den Hügeln. Denn die "Gipfel" sind so schmal, dass ich die Pedale parallel zueinander oben halten muss, um nicht am Boden hängen zu bleiben. Die nächste Stunde beiße ich mich durch. Nehme nach und nach Geschwindigkeit auf. Jedensmal, wenn sich meine Finger Richtung Bremshebel bewegen, höre ich Jordi rufen "Lass rollen, vertrau mir!" Ich werde mutiger. Gefühlt schieße ich inzwischen auf die Hindernisse zu. Ok, ich bin immer noch ganz schön langsam im Vergleich zu den anderen. Aber manchmal habe ich so viel Schwung, dass mein Vorderrad kurz den Boden verlässt, wenn ich das Hindernis hoch fahre. Dann wird mein Körper zusammengestaucht, weil es abwärts und dann sofort wieder aufwärts über den nächsten Hügel geht. Aber egal, wie viel Gas ich zu geben glaube, ich verhungere immer wieder am gleichen Hügel. Er ist hoch, die Auffahrt ist so steil, dass ich das Gefühl habe, vor mir steht eine Wand. Wieder und wieder fehlt mir der Schwung. Oder ich bleibe mit den Pedalen am Boden hängen, rutsche ab und haue mir blaue Flecken und Kratzer in die Unterschenkel. Ich schwitze ordentlich unter meinem Helm und bin aus der Puste. BMX-Racing ist verdammt anstrengend. Man braucht Kondition und Koordination. Muss antizipieren können und mutig sein. Und die richtige Haltung finden. Ich stehe beim Fahren zu tief in den Knien, sagen die Jungs. Dadurch brennen die Muskeln in den Oberschenkeln.

"Riders, ready! Watch the gate"

Mit dem BMX beim BMX-Racing in der Startbox
Der Countdown in der Startbox läuft

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es ist, wenn sechs Fahrer um die Ideallinie kämpfen, soll ich das nächste Rennen mitfahren. Und dabei auch aus der Startbox starten. Aufregend. Ich schiebe mein Rad bis an das Gitter der hochgeklappten Metallvorrichtung und stelle mich auf meine Pedale. Da es etwas Übung braucht, das Gleichgewicht zu halten, stabilisiert mich Jordi. "Und denk dran: Nicht bremsen!" erinnert er mich noch mal. Aus der Startbox kommt eine Stimmme vom Band: "Riders, ready! Watch the gate" Einige Millisekunden verstreichen, dann piepst es und die Box klappt nach unten. Ich habe keine Zeit zum Angst haben, sofort rollt das Rad los - und das ist genau das richtige für mich. Denn wenn ich keine Zeit zum Nachdenken habe, werde ich übermütig. Und so trete ich vor dem ersten Hindernis sogar noch ein paar Mal in die Pedale. Mit Schwung fahre ich über die ersten beiden Hügel. Durch die Steilkurve, über die Hindernisse der zweiten Gerade.

BMX-racing ist wie bergsteigen. nur schneller.

Sprung mit dem BMX beim BMX-Racing über die Dirt Hügel
Die Profis beim BMX-Racing fahren selten auf beiden Rädern über die Hindernisse

Bis hierhin haben die Jungs mir höflich Vorsprung gelassen - jetzt geben sie Gas. Sie kommen hinter mir aus der Steilkurve geschossen und fliegen rechts und links an mir vorbei. Ich fresse Staub und bin angespornt, in die Pedale zu treten. Natürlich habe ich nicht die geringste Chance, die anderen einzuholen, aber ich gebe endlich mal Gas. In die nächste Steilkurve tauche ich höher ein, als mir lieb ist. Aber der Schwung ist gut. Denn ich halte wieder auf die unüberwindbare Wand zu. Diesmal muss ich es drüber schaffen. Wenigstens einmal. Mit letztem Schwung rolle ich über den Scheitelpunkt und nehme wieder Fahrt auf. Ich johle vor Freude, Jordi fliegt mit einem "Yeah, du hast es geschafft!" an mir vorbei. Da er mich in der Startbox festgehalten hatte, ist er viel später gestartet. Und überholt mich trotzdem locker. Ich rolle ihm hinterher durch die dritte Steilkurve auf die Zielgerade. Endlich habe ich meinen Mut gefunden. Auf den Hügel zu in die Pedale treten. Auf die Kuppe, mit Armen und Beinen ausgleichen, federn. Nach dem Scheitelpunkt das Rad nach unten drücken. Schwung holen. Über das nächste Hindernis. Und dann nochmal richtig in die Pedale treten bis zur Ziellinie. Da wartet Jordi auf mich. High Five. Ich grinse glücklich wie ein Honigkuchenpferd.

High Five beim BMX-Racing Selbstversuch
BMX-Racing macht müde und glücklich

Manchmal wünschte ich mir, ich wäre nochmal 15. Könnte noch mal einen neuen Sport anfangen mit dem Mut und der Unbeschwertheit, die ich damals hatte. So wie die jüngeren Fahrer hier auf der Strecke, die einfach Vollgas geben und nicht über gebrochene Knochen und Verdienstausfall nachdenken. Auf der anderen Seite geben hier auch die Jungs und Mädels Ü40 ordentlich Gas. Alles eine Frage der Übung. Hätte ich mehr Zeit, würde ich gerne häufiger mit ihnen fahren. Denn BMX-Racing ist ein toller Sport. Outdoor. Action. Kraft- und Konditionstraining. Mentaltraining. Männer und Frauen, Jung und Alt trainieren zusammen. Alle sind offen und freundlich und geben Tipps, feuern sich gegenseitig an. Und sie sind alle ein bisschen verrückt. Muss man schließlich auch sein, wenn man sich mit fast 50 Sachen auf einem winzigen Fahrrad über steile Hügel katapultiert.

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Kommentare: 3
  • #1

    Jordi (Mittwoch, 03 Mai 2017 22:11)

    Wie gesagt Caro, das ist ein tolles Projekt - wir haben uns gefreut dir ein wenig zu helfen...und es hat Spaß gemacht!
    Bis bald!

  • #2

    Andreas Benez (Donnerstag, 04 Mai 2017 08:21)

    Sehr coole Nummer. Muss ich auch mal probieren! Danke Caro

  • #3

    Verena (Montag, 08 Mai 2017 00:05)

    Hi Caro,

    du hast mich neulich beim Training echt neugierig auf dein Projekt gemacht,als wir uns darüber unterhalten haben. Ich hab mir jetzt mal einige Beiträge von dir angesehen und bin echt beeindruckt. Cool, dass du so viel ausprobierst!!
    Ich bleib definitiv dabei und verfolge deine Tests weiter.

    Liebe Grüße,
    Verena